News

31.01.2022

Technologiekombination für stabile Lieferketten

Hochautomatisierte Lkw auf Oberleitungsstrecken

Forschungsschwerpunkt: Intelligent Transportation Systems

Eine Mischung aus Lkw und Zug mit einem Hauch KI: Die Studie KLEAN untersucht das Zusatzpotential von Oberleitungsabschnitten für den elektrifizierten Lkw-Verkehr hinsichtlich des automatisierten Fahrens. Dies kann eine Strategie gegen den steigenden Fachkräftemangel sein.

Im Straßengüterverkehr steht die Logistik-Branche aktuell vor zwei großen Herausforderungen. Einerseits zeichnet sich durch den Fachkräftemangel eine andauernde Knappheit von Lkw-Fahrer*innen ab, andererseits müssen auch Lkw auf neue, nachhaltige Antriebsformen umsteigen, um Klimaziele zu erreichen. Diese Dimensionen werden üblicherweise getrennt betrachtet, dabei bieten sich vielversprechende Ansätze zur gewinnbringenden Kombination von Lösungen zur Elektrifizierung und Automatisierung von Fahrzeugen.

Weltweit werden in verschiedenen Pilotprojekten Straßenabschnitte mit elektrischen Oberleitungen ausgerüstet, die die Reichweiten von elektrifizierten Lkws stark verbessern können. Diese Infrastruktur kann zusätzlich für das automatisierte Fahren genutzt werden. Insbesondere angesichts des Mangels an Berufskraftfahrer*innen – bis 2027 wird mit mindestens 185.000 unbesetzten Stellen gerechnet – kann dies eine Lösung für den Logistikbedarf der nahen Zukunft sein. Tendenziell ist hier auch mit einer noch höheren Nachfrage zu rechnen. Der Arbeitskräftemangel hat starke Auswirkungen auf die Volkswirtschaften Europas, da die Versorgungssicherheit vom Straßengüterverkehr abhängig ist.

„Kaum eine andere Strecke eignet sich besser für eine Automatisierung als diejenige mit einer Oberleitung und entsprechend Masten als Bezugspunkten“, ist Prof. Dr.-Ing. Eric Sax, Direktor am FZI Forschungszentrum Informatik und Leiter des Instituts für Technik der Informationsverarbeitung (ITIV) des Karlsruher Institut Technologie (KIT) überzeugt. In der Vorstudie KLEAN (Kombination von Oberleitungssystemen und Elektrischen, Autonomen Nutzfahrzeugen) zeigen das FZI und Institute des KIT (neben ITIV das Institut für Mess- und Regelungstechnik und das Institut für Verkehrswesen) konkrete Potenziale für einen intelligenten, sicheren und grünen Straßengüterverkehr auf. Sie thematisieren aber auch, welche Herausforderungen die Automatisierung von Oberleitungs-Lkw (O-Lkw) bieten und welchen Einfluss schon kleinere mit Oberleitungen ausgerüstete Abschnitte auf ein Gesamtverkehrssystem haben können.

Automatisierte Oberleitungsdetektion für nachhaltigen und zuverlässigen Güterverkehr

Die Studie nimmt die mit Oberleitungsinfrastruktur ausgestattete Bundesstraße B462 im Landkreis Rastatt zwischen Kuppenheim und Gernsbach-Obertsrot in den Fokus. Auf den insgesamt vier Kilometer langen Abschnitten des Pilotprojekts eWayBW fahren seit Mitte 2021 Lkw mit Hybridantrieb und Stromabnehmervorrichtung unter den Oberleitungsfahrdrähten elektrisch und können während der Fahrt geladen werden. Bisherigen Forschungsergebnissen zufolge kann bei flächendeckender Skalierung der Oberleitungstechnologie und ökologischer Antriebsgestaltung ein wirtschaftlicher und energieeffizienter Betrieb realisiert werden. 

Umfassende Betrachtung der Technologiekombination durch interdisziplinäre Forschergruppe

Wissenschaftler*innen des KIT und des FZI untersuchten im Rahmen der Studie KLEAN eine optimale Fahrzeugarchitektur für hochautomatisierte O-Lkw. Die Analyse eines idealen Sensorsetups in Kombination mit der Oberleitungsinfrastruktur wurde zudem durch die Einbeziehung energiewirtschaftlicher Fragestellungen ergänzt. Das Institut für Verkehrswesen (IFV) des KIT erforschte in einer Simulation die Auswirkungen und Auslegungsparameter des hochautomatisierten Oberleitungsverkehrs auf den Straßenverkehr. Diese umfassende Betrachtung der Technologiekombination wurde in der Vorstudie zusätzlich auf Basis ökologischer und wirtschaftlicher Gesichtspunkte untersucht. So wird ein gesamtheitliches Konzept zur Realisierung der innovativen Straßengüterverkehrstechnologie formuliert.

Stabilisierung der Lieferketten und Leistungserhalt der Transportbranche

Die Oberleitung bietet für die Fahrzeugsensorik eine Redundanzebene, die die Automatisierung entscheidend robuster werden lässt. Lkw, die schließlich unter der Oberleitung autonom fahren, benötigen kein Fahrpersonal mehr (SAE-Stufe 5). Bereits für hochautomatisiertes Fahren der SAE-Stufe 4 entfällt im spezifischen Anwendungsfall die Notwendigkeit, das System durch Fahrpersonal zu überwachen. Mit Oberleitungen ausgerüstete Streckenabschnitte können somit vollautomatisiert zurückgelegt werden, der oder die Fahrer*in kann währenddessen als Passagier andere Aufgaben übernehmen. Die gesetzlich vorgeschriebenen Lenkzeitunterbrechungen können in diesem Szenario während der vollautomatisierten Fahrt unter der Oberleitung verbracht werden. Dies führt zur Reduktion der Transportzeiten und entlastet häufig überausgelastete Rasthöfe und Parkplätze. Während die Pausenzeit der Fahrer*innen unter der Oberleitung stattfindet, können diese bei noch nicht ausgebauten Streckenabschnitten wieder die Fahraufgabe übernehmen.

Durch diese Möglichkeit die Standzeiten von Lkws deutlich zu reduzieren, kann insgesamt eine Effizienzsteigerung erreicht und dem bereits bestehenden Mangel an Fahrer*innen entgegengewirkt werden. Die hochautomatisierte Fahrzeugführung kann herstellerunabhängig und zudem unabhängig vom Vorhandensein eines Dachstromabnehmers für unterschiedlichste Fahrzeugtypen entwickelt werden.

Die Vorstudie zeigt somit, dass die Automatisierung von Oberleitungsfahrzeugen einen Beitrag zur Stabilisierung der Lieferketten und zum Leistungserhalt der Logistik- und Transportbranche leisten kann und gleichzeitig ökologisch und ökonomisch nachhaltig gestaltbar ist.

Vorstudie als Grundlage für wegbereitende Folgeprojekte und Markthochlauf

Insgesamt bildet die vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg beauftragte Studie die wissenschaftliche Grundlage für ein praxisorientiertes Folgeprojekt im Rahmen eines öffentlich geförderten Verbundprojekts von Wissenschaft und Industrie.

Ein idealer nächster Schritt kann die Hochauflösende Kartierung einer Pilotstrecke für O-Lkw, beispielsweise die Strecke eWayBW, sein. Die Aufnahme der Oberleitungsstrecken in vorhandene Kartendaten bildet die Voraussetzung, um diese Daten für die Trajektorienplanung im Realversuch zu verwenden. Zudem können im Zuge dessen bereits Simulationen des hochautomatisierten Oberleitungsbetriebs durchgeführt werden. Anhand dieser Ergebnisse kann ein nächster Schritt in Richtung Markthochlauf gegangen werden, indem Fahrzeuge mit der notwendigen Sensorik ausgestattet werden, um auf einer Pilotstrecke in den Testbetrieb zu gehen. Für ein solches Vorhaben sind neben Fahrzeugen und Testumgebung auch ein Konsortium aus Unternehmen der Nutzfahrzeugbranche, Forschungsinstitutionen und Universitäten sowie weiteren wirtschaftlichen und politischen Akteuren sinnvoll.